Tag 508-515 | Tokkiero Leuchtturm, Arroyo Seco, Jalisco / La Ticla, Michoacan, Mexico
Seitdem wir Surfbretter auf dem Dach haben, hat sich unsere Reise verändert. Man denkt nicht mehr nur an schöne Orte, Wanderungen in Nationalparks oder wilde Tiere, sondern ganz entscheidend auch: Wann kann ich das nächste Mal surfen? Was sagen die Vorhersagen zu den Wellen? Sollten wir nicht doch einen kleinen Umweg von 100km für den nächsten Surfstrand machen?
Seid Mazatlán war das Thema ständig präsent: Ob Teacapan, San Blas oder Arroyo Seco, alle Orte wurden vor allem angesteuert, weil man dort surfen können soll. Doch leider ist es nicht so einfach, denn es reicht nicht, das ein Strand ein Surfstrand ist: Es muss das Wetter stimmen, die Jahreszeit und ganz entscheidend der „Swell“, also ob es gleichmäßige Wellen aus der richtigen Richtung gibt. Darüber hinaus gibt es ganz unterschiedliche Typen von Surfstränden, z.B. den Beach Break (sandiger Untergrund), Point Breaks (durch Riffe oder Steine verursachte brechende Welle), Rivermouth (Flussmündungen) und und und…
Wir fuhren nach Hannos Angelerfolg also weiter auf der Suche nach der perfekten Welle. Die beiden Britten bogen in Puerta Valarta zu den Craft Beer Brauereien und DHL ab, wir fuhren durch den Bundesstaat Jalisco bis zum Tokkiero Leuchtturm. Hier hatte man vor ein paar Monaten angefangen den Strand zu bebauen. Mit ein bisschen Googlen kamen wir an den Preis: 5,3 Mio. USD für 73000 m². Was hier wohl entstehen würde? Wir tippten auf einen dicken Hotelkomplex. So viele Orte hatten wir in Mexico schon gesehen, wo wir wetten, dass sie sich in 10 Jahren von wild, frei und einsam zu bebaut, bevölkert und touristisch wandeln würden. Tokkiero gehört definitiv dazu. Die Wellen hier galten als eventuell surfbar, auch wenn der letzte Rezensent es selber nicht versucht hatte. Rechts und links des Leuchtturms brachen die Wellen, doch wieder hatten wir ein mulmiges Bauchgefühl. Irgendwie brachen die Wellen an komischen Stellen in der Bucht und am nächsten Morgen erklärte sich auch warum: Bei Ebbe wurden jede Menge Felsen sichtbar, die den Sandstrand plötzlich ganz anders aussiehen ließen. Weit und breit waren auch keine anderen Surfer zu sehen, also blieben die Bretter wieder einmal auf dem Dach.
Wir genossen daher lieber den starken Wind und kühlten nach langer langer Zeit nochmal ab. Lange her, dass wir mal nicht geschwitzt hatten. Chico verschwand in Sekundenschnelle zwischen den Klippen, Hanno und ich genossen ein kühles Bier zum Sonnenuntergang. Es war der erste Abend ohne Willow, Lee und Aimee auf dem Festland. Ein bisschen komisch, aber auch schön.
Am nächsten Mittag erreichte uns eine Nachricht von den beiden. Ihre neue Kupplung war leider nicht in Puerto Valarta angekommen, die Craftbeer Szene aber sehr überzeugend. Wir fuhren die 60 km weiter bis nach Arroyo Seco („trockener Flusslauf“) der als top Surfspot beschrieben war. Wir kamen abends an uns trafen Willow und Lee und deren erste Einschätzung der Wellen ließ wieder nichts Gutes erahnen. Die Wellen waren zwar groß genug, aber sie brachen direkt am Strand, nur wenige 10 Meter entfernt und sehr steil. Am nächsten Morgen sahen wir sogar einige Surfer, doch auch die Profis hatten zu kämpfen und hatten nur wenige Sekunden mit der Welle. Wir ließen wieder einmal die Bretter auf dem Dach und zweifelten ein wenig an uns und unserem Hobby. Hatten wir einfach Pech und alle Strände waren so schlecht? Passt die Jahreszeit nicht? Sind wir einfach zu verwöhnt und erwarten zu viel oder sind wir zu grün hinter den Ohren um die Wellen als surfbar wahrzunehmen?
Es gab noch eine letzte Station, bevor es ins Inland ging. Lee schwärmte schon seit Monaten davon und „La Ticla“ ging uns nicht mehr aus dem Kopf. All unsere Beschwichtigungsversuche gegenüber Lee, das er vielleicht etwas zu hohe Erwartungen an „La Ticla“ hatte, waren fruchtlos. Er ist ein hoffnungsloser Optimist und so machten wir uns auf den Weg, fast 200km Umweg ab von der Route. Wenigstens schöne Palapas zum Campen am Strand gäbe es da, und vielleicht kann man ja angeln. Das kann der Mann ja jetzt.
Laut Google Maps sollten es ca 4 Stunden für die knapp 200 km sein und wir schlugen schon mal vorsichtshalber eine Stunde drauf. Außerdem wollten wir noch kurz in Pascuales halten, einer der größten Wellen der Welt. Wir hatten allerdings nicht mit den Straßenverhältnissen in Michoacan und Colima gerechnet, es gab nicht nur unzählige Topes, Schlaglöcher und Dörfchen, durch die es ging, sondern es ging auch bergauf und bergab und an Polizeikontrollen, Militärposten und improvisierten Straßensperren mit Krähenfüßen der „Vigilantes“ vorbei. Es dauerte nicht lange bis der erste Tope unsere bis dato aufgeräumte Wohnkabine verwüstete. Neuer Supergau ist, wenn das Katzenklo durch die Kabine fliegt.
Durchgeschüttelt und ziemlich entnervt von den nicht markierten Bodenwellen hielten wir nach 2 Stunden im Örtchen Pascuales. Pascuales war natürlich ein Reinfall, am Strand waren zwar überall rote Flaggen, aber von 6-7m Wellen oder Surfern keine Spur.
Kaum zurück auf dem Highway bekamen wir Bescheid von Willow und Lee, dass die Polizei sie verfolgt. Wir hielten im nächsten Örtchen an einem Fruchtstand. Dann kaufen wir halt etwas Obst. Die Familie am Fruchtstand war freudig überrascht von unserem Besuch und schenkte uns mehrere Kilo Sternfrüchte. Hmmmm, lecker! Die Polizei drehte währenddessen unentwegt Kreise auf der Straße und wartete offensichtlich auf uns. Sie sprachen uns aber nicht an und als es uns zu bunt wurde fuhren wir einfach weiter mit zwei Polizeifahrzeugen im Schlepptau. Während ich weiter voller Konzentration die Straße nach Topes absuchte und den Rückspiegel nach Blaulicht checkte, fand Hanno im Internet einige Infos, die die Polizeipräsenz erklärten. Wir fuhren durch die Bundesstaaten Colima und Michoacan, die von sehr starken Kartellen dominiert wurden. Wir hatten es geschafft genau durch drei der momentan gefährlichsten Orte zu fahren. Ups. Die Polizei eskortierte uns als Touristen und sorgte für unsere Sicherheit. Gracias amigos!
Wir sind von unseren Polizeierfahrungen in Baja einfach echt ein bisschen gebrannte Kinder, hier auf dem Festland sind bisher alle Polizisten super nett und freundlich.
Dann fehlten nur noch 30 km zum Ziel und als wir die letzte Bergkuppe überfuhren, eröffnete sich der erste Blick auf die Küste. Schon von weitem konnten wir die weißen Schaumkronen auf die Küste rollen sehen, sie bauten sich weit draußen auf und schienen langsam und elegant Richtung Strand zu rollen, weit bis an den Horizont. Sollte Lee etwa Recht behalten? Ich war noch nicht überzeugt, und mir Klangen noch die Worte eines anderen Surfers aus Nine Palms in den Ohren: „For beginners, La Ticla? It’s BIG…“
Die letzten Kilometer schienen sich endlos durch den Regenwald zu ziehen und die ganze Strecke lang konnten wir keinen weiteren Blick mehr aufs Meer erhaschen, wir wussten nur von weißen Schaumkronen, schon weit draußen auf dem Meer…
Kurz vor La Ticla passierten wir dann noch eine Blokade von Einwohnern des Dörfchens. Sie hatten Steine auf die Fahrbahn gelegt und eine Kette mit Krähenfüßen ausgelegt. Wir wurden freundlich empfangen und direkt durchgelassen. Die Zivilbevölkerung schützt sich hier selbst vor dem Kartell. Als wir dann schließlich im Dorf ankam, wurde die Vorfreude immer größer: Die Brandung war schon zu hören und die ersten Schilder mit dem Logo von La Ticla und einer Welle ließen uns wissen, das wir richtig waren. Wir fuhren direkt bis an den Strand und stoppten vor den letzten Palapas am Fluss. Es war erstaunlich lebendig, und wir wurden von gut gelaunten Mexikanern freudig begrüßt. Alle waren natürlich interessiert an der europäischen Kolonne, und alle schienen jung, durchtrainiert und mit Zelt oder Hängematte und Surfbrett unterwegs zu sein. Die Brandung war ohrenbetäubend. Wir sicherten uns einen Schlafplatz am Strand und bestellten eine Runde Victoria im Restaurant, den die Dämmerung brach ein. Und ab diesem Zeitpunkt war La Ticla einfach magisch. Kaum hatten wir den ersten kühlen Schluck getrunken tauchten Wale auf, die ersten der Saison. Für einen kurzen Moment stoppte das bunte Treiben der Surfer-Hippies, das klappern des Geschirrs in der Küche und die angeregten Gespräche. Alle hielten Inne und starten aufs Meer. Was ein Auftakt. Wenig später gings mit einem Sundowner an den Strand und wir schauten den Profis beim Surfen zu.Wir konnten es kaum erwarten, die Bretter am nächsten Morgen vom Dach zu holen.
Zurück an den Campern machten wir ein letztes Gute-Nacht-Bier auf und sprachen darüber, dass die Meeresschildkröten gerade ihre Eier ablegen und das es ein wahnsinniges Erlebnis wäre, das zu sehen. Lee, weiter voller Euphorie über La Ticla wollte sofort den Strand runterlaufen und schauen, ob er eine Schildkröte findet. Tja und dann passierte das Unglaubliche. Er war kaum bis hinter die Camper gekommen, da stolperte er über eine 1m große Meeresschildkröte die gerade ein Loch buddelte. Ich brach fast in Tränen aus und konnte es selbst kaum glauben. Aus dem letzten Feierabendbier wurden dann viele viele mehr. Über Stunden saßen wir im Sand und schauten der Schildkröte, die wir Isabell tauften, beim Loch buddeln zu. Es war super anstrengend und dauerte ewig. Dann legte sie endlich ihre Eier ab und brauchte eine weitere Ewigkeit um das Loch wieder zu zu buddeln. Ihre Erschöpfung war deutlich erkennbar und ihre Pausen zwischen dem Schaufeln wurden immer länger. Weit nach Mitternacht war sie endlich fertig und zufrieden und wir alle einfach nur erschöpft. Statt zum Meer zurück zu laufen steuerte Isabell dann die Lichter von Brunos Außenbeleuchtung an. Als wir das realisierten, schalteten wir diese schnell aus. Im Restaurant brannte aber weiter Licht, sodass Isabell in die falsche Richtung lief. Nur mit Hilfe unsere Arbeitsleuchte konnten wir sie wieder auf den richtigen Pfad bringen. So brauchten wir fast eine Stunde um Isabell zurück zum Meer zu führen. Es war erschreckend wie stark sie vom Licht angezogen wurde. Ich will mir gar nicht vorstellen wie viele Schildkröten sich jährlich verlaufen, weil sie dem Licht folgen.
Isabell war fix und fertig. Man kann wohl mit gutem Gewissen behaupten, dass diese Nacht die anstrengendste im ganzen Jahr für sie war. Als dann die ersten Spritzer Brandung ihren Kopf erreichten kamen ihre Lebensgeister wieder und wir sagten Tschüss und Danke Isabell! Das war unglaublich.
Weit nach Mitternacht lagen wir im Bett und konnten nicht begreifen wie groß unser Glück war. La Ticla, wie willst du das noch toppen?
Aus dem morgendlichen ersten Surf wurde dann nix, auch wenn Hanno mich ungeduldig versuchte aus dem Bett zu bekommen.
Viel geschlafen hatte er nicht: „La Ticla, It’s BIG…“
Als wir endlich fertig waren, ging es Richtung Surfspot, doch zuerst wurde der Report gecheckt. Handnetz gab es keines, also hatten wir die Vorhersagen als Screenshots auf dem Handy gesichert. 0.9 – 1.2m sollten die Wellen sein, wenig Wind, 3-4 von 5 Sternen. Unsere Herzen klopften, auch wenn die Vorhersage etwas beruhigte. Dass wir noch einen Fluss durchqueren mussten, um an den Einstiegspunkt zu kommen, war da Nebensache. Von Krokodilen hatte hier bisher noch keiner berichtet.
La Ticla hat eine interessante Aufteilung, direkt an unserem Campspot ist es ein Sandstrand, doch die Wellen brechen steil und kurz. Dann folgt die Flussmündung, an der sich die Wellen langsamer und größer aufbauen und auf der anderen Seite liegt ein Kieselstrand mit faust- bis kopfgroßen Steinen. Wir wollten bei den Kieseln einsteigen, denn die Wellen sahen berechenbarer aus. Der Weg war etwas mühsam, doch all die anderen Surfer entlang der Küste zu sehen, motivierte ungemein. Die Kiesel erzeugten ein dumpfes Grollen, während die Wellen über sie hinwegfegten.
Als wir an dem Einstiegspunkt angekommen waren, beobachteten wir die Wellen und der Puls stieg. Waren das wirklich nur 1.2m? Aus der Nähe sah das plötzlich ganz anders aus und die Surfer im Wasser wirkten ungewöhnlich klein.
Wir hielten einen Moment inne und betrachteten das Meer ehrfürchtig.
Es kostete uns alle Kraft durch die weißen Wellen zu kommen und gegen die Strömung zu paddeln. Die Wellen waren riesig. Um genau zu sein: viel zu groß für uns! Wir schaukelten auf dem Wasser und schauten den Profis zu. Die ein oder zwei kleineren Wellen paddelten wir dann auch mal an, zogen aber kurz vor dem Takeoff immer den Schwanz ein.
Nach einigen Stunden ging es dann zurück an den Strand und wir machten uns einen gemütlichen Nachmittag. Eine nette Dame aus dem Dorf kam vorbei und verkaufte uns Tamales. Das ist ein traditionelles Gericht aus mit Fleisch, Fisch, Käse oder Gemüse gefülltem Maisteig, der in ein Bananenblatt eingepackt und dann gedünstet wird.
Wir saßen zusammen und sprachen über die letzten 24 Stunden. Der Surf war hart, aber La Ticla hatte unerwarteter Weise allen Erwartungen Stand gehalten. Das Ganze wurde dann noch getoppt, als vor den Campern kleine Babyschildkröten schlüpften und aus dem Sand auftauchten um sich auf den Weg zum Meer zu machen.
Während ich das hier so schreibe, kann ich selbst nicht fassen was für ein unglaubliches Glück wir dort an den Tagen am Strand hatten.
Außerdem schauten wir dann noch bei Bruno nach dem Rechten. Unser Motor hat eine Kette statt einem Riemen und einen automatischen Kettenspanner. Kette und Kettenspanner sind bekannte Schwachstellen beim Iveco und die letzten Tage war der Motor ziemlich laut. Wir träumten von einer übergesprungenen Kette und dem Ende unserer Reise und beschlossen nachzusehen. An einem Nachmittag ließen wir also das Kühlwasser ab, bauten den Kühler aus und öffneten mit schweren Herzen das Gehäuse der Kette. Zu unserer Überraschung sah alles sehr gut aus und kein Teil war abgenutzt oder beschädigt. Vermutlich stand der Kettenspanner also nur kurz vor der nächsten Stufe und es war deshalb so laut. Das gleiche Spiel hatten wir vor 25.000 km schon mal im Yukon, Kanada. Erleichtert bauten wir wieder alles zusammen und kontrollierten noch ein paar weitere Dinge.
Die nächsten Tage schlüpften weiter kleine Schildkröten und wir begleiteten die kleinen Seelen zum Meer. Den Rest der Tage versuchten wir gegen die Wellen zu kämpfen. Sie waren noch größer geworden als an unserem ersten Tag und mehr als einmal schafften wir es nicht mal durch die weißen Wellen nach draußen zum Lineup. Es wurde echt Zeit, dass wir das Duckdiven lernen.
Nach 5 Tagen La Ticla waren wir zwar nicht wirklich bessere Surfer, aber sonst waren wir voll auf unsere Kosten gekommen. La Ticla hat unsere Herzen erobert und wir wünschten uns so sehr bessere Surfer zu sein. Immer wieder überlegen wir, ob es irgendeine Route gibt, die uns doch noch mal an La Ticla vorbeiführen könnte. Hoffentlich bleibt dieser Ort noch lange so wie er gerade ist.
Ein Gedanke zu „Tag 508-515 | Tokkiero Leuchtturm, Arroyo Seco, Jalisco / La Ticla, Michoacan, Mexico“
Hallo ihr zwei
Wie immer eine super spannende Reisebeschreibung man meint man wäre dabei.
Und die Geschichte mit der Schildkröte 🐢 und später mit ihren Kindern einfach toll. Das werdet ihr bestimmt nicht vergessen. Wünsche euch noch weiter spannende Momente auf eurer Reise
Bis bald und bleibt weiter gesund eure Margret